Australia 01 über das Fliegen

Neunzehn Stunden im Flugzeug sind eine Menge Zeit. Ich denke an die eben vergangenen Stunden und Wochen, reich an Aufgaben, intensiv bis ganz am Schluss. Noch am zweitletzten, 15 Stunden dauernden Arbeitstag stand mit dem ZULGstar-Abend ein Event auf dem Programm. Dann letzte Verabschiedungen: «Viu Spass u chömet ganz wider zrügg», klar Deck machen zuhause, packen (danke Packliste), ein Besuch bei Vali und Denis in Luzern. Das Flugplatzpersonal in Zürich ist wohltuend freundlich und hat Zeit für einen Schwatz. Die Maschine von Flug SQ2928 ist die letzte, die an diesem Samstag in Kloten abhebt.

Jetzt sitze ich wie in einem Kokon auf dem Flugzeugstuhl, Mittelsitz 26J, und lasse die Metamorphose vom arbeitenden zum reisenden Menschen über mich ergehen. Vergangenheit und Zukunft verlieren an Wichtigkeit, die Gegenwart, das hier und jetzt, gewinnt an Kraft. Die südländisch anmutende Grossmutter links von mir, möglicherweise eine Griechin, erobert schlafend 100% meiner linken Armlehne, derweil der Indonesier zu meiner Rechten seinen Kopf in die Lücke zwischen Fenster und Vordersitz geklemmt hat und synchron das leichte Schütteln des Fliegers mitmacht.

Die vollbesetzte Boeing 777-300ER der Swiss fliegt mit 907km/h über Grund südöstlich von Nagpur über Indien: Höhe 10'668MüM, Aussentemperatur -41°C. Bald werden wir südlich von Bhubaneswar den Golf von Bengalen erreichen, «nasse Füsse haben», wie es die Piloten nennen, wenn sie über Wasser fliegen, um dann in knapp vier Stunden in Singapore zu landen. In meinem Kopfhörer singt Chris Rea «Gone fishing». Nein, lieber Chris, diesmal komme ich nicht mit dir.

Changi Airport Singapore

Transfer in Singapore, der Flughafen ist riesig, vier Terminals mit bis zu 60 Gates. Wir schlendern in der kilometerlangen Duty Free-Zone: Läden mit unterschiedlichsten Spirituosen und Parfüms, Boutiquen aller bekannten teuren Modelabels, Elektronikshops, Asia-Food-Shops mit erkennbaren und anderen Speisen, kleine Parks mit Orchideen, Toblerone neben glitzernden, mit Glasperlen verzierten Drachen und nach einigem Suchen auch die Singapore-Variante eines Kiosk mit Mineralwasser, Evian für 7$. Pause in einer Starbucks-Filiale, den Menschen zuschauen ... In Singapore hat es ähnlich viele AsiatInnen wie in Luzern.

Man muss reisen, um zu lernen.

Mark Twain

Vorfreude und Abschied von Vali und Dennis in Luzern.

Perlen speiender Glitzerdrachen – schön?

Evelyn, die kompetente Souvenir-Fotografin

Bei Louis Vuitton könnten wir unser Feriengeld innert Minuten verprassen.

Zeitverschiebung

Mittlerweile haben wir das Flugzeug gewechselt und fliegen im einem Airbus 330 der Singapore Airline über der Javasee. Welche Uhrzeit, ja welches Datum ist wohl aktuell das richtige? Wir sind am 22. September gegen 23 Uhr in Zürich abgeflogen, waren nicht ganz zwölf Stunden in der Luft, haben sechs Stunden in Singapore verbracht und fliegen nun wieder etwas über sechs Stunden. Alle Stunden addiert, ergibt sich ein Tag mit 24 Stunden. Allerdings wird bei unserer Ankunft in Adelaide bereits der 24. September sein. Der 23. September hat genau die sechs Stunden in Singapore gedauert. Im Flugplan steht lapidar: "Ankunft an einem anderen Tag." Ich frage mich: Wo genau haben sich diese fehlenden Stunden hin verkrümelt? Keine Ahnung, ich weiss nur, dass ich offenbar für einen Zeitraum von acht Stunden in der Weltgeschichte nicht existiert und keinen Raum beansprucht habe. Andererseits liegt ein gewisser metaphysischer Trost im Wissen, dass nach der Rückreise diese Lebensstunden wieder warten.

Wir werden also schon etwas Grosses geleistet haben, wenn wir dann in Adelaide landen – mit Freude auf dem festen Boden des Airports und in Erwartung des hellen Lichts feststellen: All unsere vielen Atome, die eben noch in den Zeitgrenzen verschwunden waren, sind wieder da und (hoffentlich) an der richtigen Stelle.

G' day, Evelyn und Beat